Mein Inneres sprach mit mir: „Ich steige aus diesem Taxi nicht aus!“
Es gab dafür kein Grund, die Sonne schien zwischen heruntergekommen Bürogebäuden. Angestellte strömten in die Mittagspause. Durchgenknallte Straßenkinder rannten schreiend über die Kreuzung. Tratschende Geschäftsfrauen glitten an meinem Fenster vorbei.
Meine Hautfarbe gab es nicht, aber das war nach sechs Wochen in Tansania nichts ungewöhnliches. Es war etwas Unsichtbares, was mir Angst machte, hochkonzentrierte, destruktive Gewalt hing über dem Platz. Diese Aggression war nicht sichtbar, aber sie ließ meinen Körper erstarren. Ich hatte keine großen Pläne, ich wollte nur ein Restaurant finden, aber ich wusste, dass ich keine hundert Meter lebend gehen würde.
Mein Fahrer hielt sich wütend am Lenkrad fest. Es herrschte eisige Stille. Unzählige Heiligenbilder baumelten von der Decke des Londoner Black Cabs, es war alt und schlottrig. In England hätte man es nicht mehr auf die Straße gelassen. Ich saß starr auf dem Rücksitz, es müssen so zehn Minuten vergangen sein, als sich umdrehte.
“Do you like local food?” (Ruf zum Abenteuer)
“Sure... Whatever that means.”
Die Stadt hatte die gleiche Hektik wie New York oder Moskau, nur mit mehr Menschen. Sie bewegten sich wie Ameisen. Die Innenstadt ging unmerklich in Autobahnen über. Staubige Siedlungen rauschten vorbei und er hielt auf vermüllter Erde. Ein Parkplatz ohne Autos neben einem kleinen Graben. Dahinter ein Meer von Wellblechhütten.
Er stieg aus und wir schauten uns durch die Frontscheibe hindurch an. Mir fiel ein, dass ich nicht nur mich dabeihatte, sondern auch meine Handtasche, darin mein Reisepass, Flugticket, Kamera, Kreditkarte und ca. 200 Dollar. Ich hatte ein Telefon allerdings mit kaum noch Akku und keine kenianischen Sim-Karte. Ich wusste nicht, wie dieses Viertel hieß, noch nicht mal, ob ich im Osten, Westen, Süden oder Norden der Stadt war.
Es wäre kein Problem gewesen, mein Fahrer zu bitten zurückzufahren. Aber mein Instinkt sah dafür keine Notwendigkeit. Im Centrum war beim Anblick von Anzugträgern durchgedreht und nun sah er entspannt auf einen Slum.
(Überschreitung der Schwelle)
Ausgeblichenes Plastik machte den Boden bunt. Wir sprangen über den Bach, der Wind blies ein leises Orchester in den Müll. Die Gasse, in die ich ihm folgte, war nur 50cm breit. Gelb gefärbte Augen starrten mich aus den Hütten an. Ich hatte als Kind beim Seiltanzen gelernt, den Tod zu akzeptieren, das nimmt die Nervosität und die damit verbundenen Fehler. Ich ging in der Ruhe meines Fahrers immer tiefer in ein Labyrinth. In einem breiteren Gang wurden gebrachte Dinge zum Verkauf angeboten. Menschen standen um Wasserhahn und es gab einen bunt gemalten Friseursalon. Wir hielten an einem verträumt wirkenden Wellblechhütten-Restaurant. Es hatte eine Terrasse, Tücher schützten vor der Sonne und liebevoll war auf ein Brett: “Dish of the Day” geschrieben.
Das war eine pürierte Masse, gar nicht schlecht. Meine Begleitung aß schweigend, er schien
in wüten inneren Monologen verstrickt zu sein. Ich schien sein Ego verletzt zu haben. Ich beobachtete die Menschen auf der Straße, dass alles ergab keinen Sinn. Taxifahrer kennen Restaurants in der Innenstadt. Slumbewohner besitzen kein Taxi. Und so etwas parkt man hier auch nicht unbewacht.
Nach dem Essen bestellte er uns Kaffee und schaute mich an: „Und was möchtest du jetzt tun?“
Ich sah mich um: “Zum Glück gibt es hier keine Starturen.“
Ein Lachen brach aus ihm heraus: „Ich dachte ihr Touristen mögt so etwas.”
„Ja, das stimmt, aber Sightseeing ist ein bisschen langweilig. “
Er lehnte sich zurück und kratzte sich am Kopf. Ich reichte ihm die Hand.
„Ich heiße Maielin.“
„Manuel, nett dich kennenzulernen.“
“Danke für deine Gastfreundschaft.“
„Trinkst du Bier?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Um die Ecke ist ein Laden.“
Er lehnte mein Geld ab und bezahlte unser Essen. (Geferten/ Freunde)
Die Hütten waren improvisiert aber gepflegt, die Gesichter der Menschen von Träumen und Missbrauch geprägt. Dazwischen ein kleines graues Steinhaus. Ausgeblichene Getränkewerbung hing über der Tür. Innendrin gab es drei weiße Plastiktische und ein Barmann, der von Gittern geschützt Bier verkaufte. Die Gäste schienen mit Manuel befreundet zu sein. Leise spielte tiefer ostafrikanischer Rap.
Manuels Freunde sahen uns fragend an: „Und wo habt ihr euch kennengelernt?“
„Am Flughafen, sie wollte da nicht rauskommen.“
„Das stimmt so nicht, Taxifahrer versperrten mir den Weg. Sie hatten mich angestarrt, als sei ich eine Außerirdische.“
Die Truppe lachte, als würden sie dem zustimmen.
„Es war das erste mal in meinem Leben, dass ich nicht handeln musste, ich rief ihnen zu, dass ich in die Innenstadt möchte und prompt prasselten Preise auf mich hinab. Sie wurden immer günstiger, naja bis Manuel 8,- Dollar schrie.“
„8 Dollar?“
„Naja, das war eine Falle, sobald wir auf der Autobahn waren, versuchte er mir eine Staturen-Tour für 80 Dollar aufzudrängen.“
Manuel und die Runde mussten lachen.
„Solange bis wir uns anschrien.“
„Dann hat sie kein Wort mehr mit mir gesprochen, aber als wir ankamen, stieg sie einfach aus meinem Auto nicht mehr aus.“
Unser Tisch wurde zunehmend von Schaulustigen umringt, meine Anwesenheit schien sich rumgesprochen zu haben. Ein neues Bier stand vor mir und alle taten etwas, dass ich aus Tansania kannte. Sie zückten ihre Brieftaschen und zeigten mir die Fotos ihrer Frauen und Kindern. Es irritierte mich jedes Mal, dass Jungs, die so wie ich gerade mal Anfang zwanzig waren, bereits bis zu drei Nachfahren hatten. Es schien normal zu sein. Auch das Ritual, ich mochte es sehr, es erlaubte mir, mit fremden Männern Zeit zu verbringen, ohne dass das mit einem Flirt verwechselt wurde. Fern der Touristenorte hatte ich die Menschen Tansanias als sehr humorvoll und entspannt erlebt. Und auch hier im kenianischen Getto, schien ostafrikanische Höflichkeit zu herrschen. Ich genoss die Aufmerksamkeit, mein Ego wurde mit einem Hollywoodstar verwechselt und ich hätte nichts dagegen gehabt, mir ein Hotel zu suchen und zwei Wochen Urlaub im Slum zu machen. Wo drauf ich da surfte, war mir nicht so richtig bewusst. Als ich dort mit Zwanzig rumsprang, gehörte Nairobi zu den gefährlichsten Städten Afrikas, selbst tagsüber können in der Innenstadt Menschen von Mobs umgebracht werden. Das Leben von Weißen spielte sich in bewachten Anlagen und gesicherten Autos ab. Diese fuhren nachts auch gerne im Konvoi. Die Slums waren für ihre seelenlose Brutalität kontinentweit berühmt. Sie waren durchaus betretbar, wenn man risikofreudig war und jemand kannte.
Naja, beides traf auf mich zu, auch wenn mir nicht bewusst war, wo ich war. Gutgelaunt saß im Schneidersitz auf meinem Plastikstuhl und studierte meine neuen Freunde. Es waren nicht die ersten Ghettobewohner, die ich kennenlernt, hatte, aber ihre Lebenssituation ein derartiges Extrem, welches mir bisher nur in über Medien begegnet war. Und da wirkten die Betroffenen oft anders. Zusammengeschnitten auf Leid, Angst und Ungerechtigkeit, hatten sie zuweilen etwas von zusammengetriebenen, dreckigen Tieren. Worin ich naiv saß, war Höflichkeit und Lebensfreude.
Sie schienen diese Irritation zu teilen. Ich stellte solche Fragen nicht, aber die Art wie sie mich studierten, ließ mich annehmen, dass vor mir noch nie eine Weiße dieses Viertel betreten hatte. Möglicherweise hatten sie sich noch nie mit einer unterhalten. Sie tauschten lachende Blicke aus, als könnten sie nicht ganz fassen, dass man mit einem Alien ganz normal reden kann. Verwundern tat mich das bei Manuel, er schien als Taxifahrer neu im Touristengeschäft zu sein.
Als sie feststellten, dass ich in der gleichen Nacht schon wieder fahren wollte und gar nicht vorhatte ihr Land anzuschauen kam es zur Aufregung. Sie entschieden, dass ich dann doch zumindest ihre Nachbarschaft sehen muss. Ich schaute zu Manuel, er wirkte entspannt und ich vertraute ihm. Ihr Charme spülte mich auf die Straße.
Zwischen ihnen schlängelte ich mich durch das Labyrinth, immer tiefer in die Gefahr. Im nächsten Laden verweigerte der Barmann mein Geld. Manuel reagierte auf mich genervt.
“Du bist unser Gast!”
“In Deutschland revanchiert man sich.”
“Ja hier auch, nächstes Mal.”
Seine Stimmung konnte schnell umschwenken, er reagierte auf meine Fauxpas mit plötzlicher Kälte und innerer Wut. Ich hatte das bereits auf der Hinfahrt erlebt und nahm es nicht mehr all zu ernst. Die Bar bestand aus grauen Mauern und Musik, sie hatte kein Dach. Die Dunkelheit brach mit der Geschwindigkeit des Äquators ein und meine Behauptung nicht tanzen zu können, sorgte für Unterhaltung. Die Jungs schirmten mich vor den neugierigen Blicken ab. Sie baggerten mich nicht an, sie benahmen sich eher wie große Brüder, die mich stolz rumzeigten und dafür sorgten, dass auch sonst niemand auf dumme Ideen kam.
Als die Musik schlechter wurde gingen wir wieder in die Gassen. Es gab nur selten elektrisches Licht, ich stolperte häufig über Steine und spürte Hände, die mich sanft an Schulter und Hüfte lenkten. Die Bilder und Geräusche nahm ich zunehmend, als Rausch war. Abenteuer kommt mit Adrenalin daher, der Grund, warum ich danach süchtig bin.
Die nächste Bar war aus Wellblech und Planen gebaut, manche der Gesichter waren von Tattoos und destruktiver Frustration gezeichnet. Aber auch sie brachte meine Anwesenheit zum Lachen. Die Situation schien so unwirklich zu sein, dass jeder mit Faszination reagierte. Mich brachte in Verlegenheit, dass es anscheinend keine Toilette gab. Ich musste Manuel nicht erklären, dass ich allein den Laden nicht verlasse. Er begleitete mich zwischen die Hütten. Mir war das etwas peinlich, er drehte sich und pinkelte ebenfalls in eine Ecke. Ich hatte das Gefühl von hunderten unsichtbaren Augen aus angestarrt zu werden.
Auf dem Weg zurück bedankte ich mich für den schönen Abend. Er lachte und hielt mir die Tür auf und schon hatte ich wieder ein Getränk in der Hand. Einer der Jungs fragte: „Was machst du eigentlich in dieser Stadt?“ „Ich weiß es nicht, ich bin auf dem Weg nach Amsterdam, aber mir war im Flugzeug von Daressalam aufgefallen, dass ich in Nairobi zu viel Zeit hatte, um mich am Gate zu langweilen.“ Er schaute mich irritiert an. „Ich habe mir ein Visum geholt und mich gewundert, dass außer mir niemand den Ausgang nutzt. Das war ein bisschen surreal, die Glastüren des Flughafens hatten sich wie ein Theatervorhang geöffnet und vor dem grellen Sonnenlicht stand eine Armee von schwarzen Silhouetten, die über mich irgendwie verblüff zu sein schein.“
Mein Gegenüber schüttelte kriechend den Kopf. Erst später verstand ich das, Nairobi ist ein Ort, in der man sich ein sicheres Auto bestellen lässt. Darüber nachzudenken hatte ich keine Zeit, immer mehr Gäste schlossen sich uns euphorisch an. Wir verließen die Bar und landeten in einem kleinen Laden, in den wir kaum reinpassten. Der Besitzer hatte offensichtlichen Spaß an uns und spielte die Lieblingsmusik der Truppe, soweit das Stromausfälle zuließ.
Körperlich hielt man mich davon ab, dass auch ich mal eine Runde bezahlen konnte. Ich gab auf, ich hatte gegen ihre gute Laune einfach keine Chance. Einer von ihnen fing an sich aufzuregen:
„Warum warst du eigentlich sechs Wochen in Tansania und nicht in Kenia?“
Er fand bei allen in der Bar Zustimmung.
„Tansania ist bescheuert!“ „Die Menschen helfen einander nicht, denen geht es nur ums Geld!“ „Du musst unsere Inseln und Löwen sehen!“
Ich schmunzelte in mich hinein, auch im Nachbarland hatten sich Ghettobewohner als ausgesprochen sympathisch entpuppt und mit einem Selbstverständlich für meine Sicherheit gesorgt. Geld hatten sie immer abgelehnt: „Karibu (Willkommen) Tansania! Wir sind hier nicht so wie die in Kenia! Fahr nicht nach Kenia! Die helfen einander nicht. Die denken nur ans Geld. Kenia ist scheiße! Wir sind nicht wie die in Kenia!“
Es schien da ein Nachbarschaftskonflikt zu geben, den ich nicht ganz verstand, auf mich wirkten die Mentalitäten sehr ähnlich.
Manuel und ich schauten uns an, es war Zeit zu fahren. Die Verabschiedung dauerte sicherlich noch eine Stunde. Selbst der Besitzer nahm mich in Arm. Ich versprach endlos oft, dass ich nie wieder nach Tansania fahre, sondern klar, nach Kenia und selbstverständlich als erstes besuche ich sie. Gleich vom Flughafen kommend, klopfe ich an ihren Hütten. Wie auch immer ich die hätte finden sollen.
Zu zweit in der Finsternis der engen Gassen, wirkte die Welt anders. Destruktive Klebstoffaugen und Aggressionen, wohin ich blickte. Manuel schein das nicht wahrzunehmen. Ich stolperte hinter seiner Ruhe und breitem Kreutz entlang. Es gab mir Selbstsicherheit. Als wir über den kleinen Graben sprangen und sein Auto da immer noch stand, atmete ich erleichtert auf. Warum es nicht geklaut worden war, verstand ich nicht, aber ich hatte aufgehört die Logiken Nairobis in Frage zu stellen. Irgendwie funktionierte hier alles exakt gegenteilig vom im Rest der Welt und solange Manuel die Regeln beherrschte, war alles gut. Ich hatte nicht vor hier her zu ziehen.
Müde versuchte ich die Hintertür zu öffnen.
„Was machst du da! Da sitzen Kunden, wir sind befreundet.“
Ich zuckte zusammen, schon wieder hatte ich mich unhöflich benommen. Ich rollte mich auf dem Beifahrersitz zusammen und schaute dabei zu, wie er die Zündkabel zusammenschoss.
„Ist das dein Wagen?“
Er machte einen schmunzelnden Kommentar und ich fasste mir innerlich an den Kopf. Wie war ich auf die Idee gekommen in ein geklautes Taxi einzusteigen?
Er schaltete sanfte Musik an und ich warf einen letzten Blick auf das Viertel. Es hatte sich in mein Herz gebohrt.
Wir kamen auf die Highways, mit den fackelnden Lichtern der Gettos, wir fuhren durch Qualm einer Mülldeponie. Er zeigte mir die Fotos seiner Frau und Kinder, sie träumte von einem Frisörsalon. Ich hatte keinen Zweifel, dass sie es schaffen werden. Zusammengerollt genoss die Ewigkeit der Fahrt.
In der Abflughalle hielt ich an einem runden Stehtisch und öffnete das erste Mal meine Handtasche. Ich schob ihm die 200 Dollar rüber.
„Du beleidigst mich. Wir sind befreundet!“
Irgendwie neigte er zum Streit und immer ging es um Geld. Auf der Hinfahrt war er durchgedreht, weil er mir eine 80 Dollar Trip nicht verkaufen konnte, dann zickte er rum, dass ich keine Runde übernehmen darf und jetzt wollte er für seine schreiendkomische Wellblech-Bar-Hopping-Tour nicht bezahlt werden.
„Schau mal, ich brauche kein Geld, die werden mir gleich Essen im Flugzeug servieren. Zuhause holt mich mein Freund ab. Aber deine Frau und Kinder werden sich darüber sehr freuen. Und du hast die Nacht gearbeitet, du hast ausgesprochen unterhaltsam mein Leben gerettet.“
Er verstummte und ich hatte mich endlich gegen ihn durchgesetzt.
Wir nahmen uns sanft in den Arm, ohne Worte und Versprechungen ging ich. Ich war schon sehr weit gekommen, als ich mich noch mal umdrehte. Er war bereits am Ausgang und schaute zu mir rüber. Ich hatte das Gefühl, dass wir beide das gleiche dachten.
Wir hatten die Gesetze dieser Welt ignoriert. Ich hätte niemals in sein Taxi steigen dürfen und zumindest irgendjemand in seiner Nachbarschaft hätte mir etwas antun müssen. Wir hatten ein kleines Zeitfenster erlebt, wo irgendwie keiner Lust gehabt hat, sich an Regeln zu halten. Ein kleines Geschenk, wo Arm und Reich kurz mal so tun konnten, als gäbe es kein Unterscheid.
Wir nickten uns zu und ich ging durch die Sicherheit.
ENDE